720. Briefe schreiben

Briefe schreiben

Es klingelte an der Tür. Lisa, die schon eine ganze Weile darauf gewartet hatte, stürmte aus ihrem Zimmer, lief die Treppe hinab, quer durch den Flur und öffnete, noch bevor Mama es tun konnte.
»Ich habe hier einen Brief für Lisa.«, sagte der Briefträger. »Ich soll ihn höchstpersönlich und nur an sie abliefern.«
»Ich bin Lisa.«, antwortete Lisa und nahm die Post entgegen.
»Liest du eigentlich auch die vielen Briefe und Postkarten, die du überall verteilst?«
Der Briefträger lachte und schüttelte den Kopf.
»Nein. Erstmal habe ich dafür keine Zeit. Dann müsste ich die ganze Nacht durcharbeiten. Außerdem ist das verboten. Niemand möchte, dass ein Fremder seine Post liest.«
Lisa ließ die Mundwinkel sinken. »Das ist bestimmt nicht so toll. Wer weiß, was das alles Spannendes drin steht. Bist du denn gar nicht neugierig?«
Der Briefträger schüttelte den Kopf.
»Nein. Dann wäre ich auch der falsche in meinem Job. Auch wenn ich gern mal Briefe lese. Aber ich selbst bekomme nur sehr selten welche geschickt.«
»Hast du denn keine Freunde?«, wollte Lisa wissen.«
»Doch das schon. Aber die schreiben Briefe. Die rufen mich nur per Telefon an.«
Der Briefträger verabschiedete sich und machte sich wieder auf seinen Weg.

Am nächsten Tag wiederholte sich das Spiel von Neuem.
Der Briefträger klingelte an der Tür, Lisa stürmte hin und öffnete.
»Hast du heute wieder Post für mich?«, fragte das Mädchen.
»Nein!«, antwortete der Briefträger. Heute habe ich nur etwas für deine Mutter.«
Lisa begann zu grinsen.
»Aber dafür habe ich heute einen Brief für dich.«
»Für mich?«, wunderte sich der Briefträger.
»Ja, für dich. Weil du doch gern Briefe liest aber keine bekommst, habe ich mir gedacht, dass ich dir mal einen schreibe.«
Sie überreichte ihm einen bunt bemalten Umschlag. Der Briefträger lächelte erfreut und nahm den Brief entgegen.
»Vielen Dank! Den werde ich lesen, sobald ich Feierabend habe, sonst werde ich mit meiner Runde nicht fertig.«
Dann verabschiedete er sich wieder, ging zum nächsten Haus.

(c) 2019, Marco Wittler

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*