1064. Frisch gewischt

Frisch gewischt

Draußen wurde es langsam dunkel. Der Tag neigte sich dem Ende zu und machte der Nacht Platz. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont und der Mond nahm ihren Platz ein, um sein fahles Licht auf die Erde fallen zu lassen.
Auf dem Dachboden der alten Burg wachte der kleine Geist auf. Er gähnte laut, streckte sich und ließ sich langsam durch den Boden in die nächste Etage nach unten gleiten.
»Es wird Zeit, durch die Gänge zu spuken. Das ist es, was ich besonders gut kann.«
Er holte eine große, rostige Eisenkugel aus einem Schrank, hängte sie mit einer alten Kette an sich zog sie Stück für Stück hinter sich her.
»Huuu!«, rief der kleine Geist immer wieder. »Huuu!«
Der kleine Geist schwebte durch alle Gänge und Räume, jagte noch kleineren Mäusen einen gehörigen Schrecken ein und lachte sich dann immer wieder ins Fäustchen.
Nach einer ganzen Weile, es war schon kurz vor Sonnenaufgang, kam er in der großen Eingangshalle an. Dort fiel sein Blick auf einen alten, vergilbten Zettel, der in einer Ecke lag und Werbung für die wöchentliche Lotterie machte.
»Was?«, war der kleine Geist erstaunt. »Man kann eine ganze Million gewinnen? Da muss ich unbedingt mitspielen. Ich könnte endlich meinen Dachboden renovieren.«
Er legte einen Zahn zu, flitzte durch die Halle, rutschte aus und fiel zu Boden. Erschrocken sah er sich um und entdeckte ein Schild.
Feuchter Boden. Frisch gewischt.
»Komisch.«, wunderte sich der kleine Geist. »Ich bin ein Geist, ich kann doch gar nicht ausrutschen. Ich schwebe über dem Boden. Vielleicht habe ich mich an mein vergangenes Leben erinnert, als ich noch Beine hatte.«
Er zuckte mit den Schultern und schwebte zum Lottoladen.

(c) 2021, Marco Wittler


Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay

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