Eine Mietze, ein Verbrecher und ich
Wir hatten mit unserem Wohnmobil die nächste große Stadt erreicht. Von allen Seiten strömte uns helles, buntes Licht entgegen. Wir kamen an unzähligen Sehenswürdigkeiten vorbei, die mich dann sehr verwirrten. Durch die Frontscheibe sah ich den Eiffelturm von Paris. Nur Minuten später kamen wir an der Freiheitsstatue vorbei, die ich vor wenigen Tagen in New York gesehen hatte. Etwas weiter ragte vor uns eine ägyptische Pyramide in die Höhe.
Wie konnte das sein? Fuhren wir immer wieder durch Raum-Zeit-Portale und landeten immer wieder an anderen Orten der Erde? Nein. Von so einer technischen Errungenschaft hätte ich bestimmt schon mal gehört. Es musste einen anderen Grund dafür geben.
»Willkommen in Las Vegas, Leute.«, sagte der Mann irgendwann und steuerte einen Parkplatz an, auf dem unser großes Wohnmobil parken konnte.
Las Vegas. Klar doch. Jetzt wusste ich, was hier los war. Es gab hier die verschiedensten Nachbauten von weltweiten Sehenswürdigkeiten. Man konnte sich die ganze Welt ansehen, ohne weit reisen oder laufen zu müssen.
Mir fielen dann aber auch andere Dinge ein, die man hier unternehmen konnte. Ich flitzte in meine Schlafhöhle, suchte mit der Pfote in den Falten und fand dort ein paar Cent-Münzen. Meine Augen begannen zu funkeln. Ich sah mich schon an einem Tisch in einem Casino sitzen mit einem großen Haufen Geld vor mir.
»Wir sind nicht zum Zocken hier.«, sagte die Frau. »Mit unserem Geld können wir Besseres anfangen, als es irgendwo zu verspielen. Wir wollen uns nur die Stadt anschauen.«
Ich ließ enttäuscht das Geld fallen und stopfte es an seinen Platz zurück.
»Ich habe uns Eintrittskarten für eine Show besorgt.«, erzählte sie weiter. »Wir schauen uns ein Musikkonzert an.«
Na toll. Darauf hatte ich so wahnsinnige Lust. Ich dachte schon darüber nach, ob ich mich krank stellen sollte. Ich hätte dann statt des Konzerts doch noch mein Geld vermehren können.
Wir stiegen aus. Der Mann und die Frau machten sich auf den Weg zur Show.
»Ihr macht hier keinen Blödsinn.«, ermahnte sie uns eindringlich. »Wenn wir wieder zurück sind, sollte das Wohnmobil noch in einem Stück hier stehen.«
Wir vier Mietzen nickten brav. Was sollte denn auch großartig passieren?
Wir gingen in die andere Richtung, ließen uns Meter für Meter durch die Straßen treiben und waren von den Lichtern, den bunten Schildern und den Menschen, die überall ihr Geld verspielten, begeistert.
»Hey!«, hörte ich plötzlich eine Stimme aus einer dunklen Ecke. »Hey, ihr da. Ihr sehr aus, als währt ihr an einem kurzen Spielchen interessiert. Habt ihr Lust schnelles Geld zu machen?
Geld? Es klingelte in meinem Kopf. Das war es, was ich die ganze Zeit hatte machen wollen. Ich zog meine Gefährten hinter mir her, bis vor einem kleinen Tisch standen, hinter dem sich ein Kater befand, dessen Fell auch schon bessere Zeiten erlebt hatte.
»Ich habe hier drei Nussschalen.«, erklärte er das Spiel. »Ich lege eine kleine Erbse unter eine der Schalen, verschiebe die drei hin und her. Einer von euch darf dann tippen, wo sich die Erbse befindet. Habt ihr Glück, gewinnt ihr. Liegt die Erbse woanders, verliert ihr euer Geld.«
Er legte die Erbse langsam auf den Tisch, deckte sie mit einer Nussschale ab und begann sein Spiel. So langsam wie er sie hin und her schob, was es ein Leichtes, mir den richtigen Platz zu merken.
Der Kater stoppte. Ich legte meine Münzen vor die rechte Schale und gewann tatsächlich. Mein Gegenüber drückte mir einen Geldschein in die Pfote.
Ich war überrascht, wie einfach man hier reich werden konnte. Warum verloren die Menschen in dieser Stadt nur so schnell ihr Hab und Gut. Das war mir völlig unverständlich.
Wir begannen die nächste Runde. Die Schalen wurden nun etwas schneller bewegt, trotzdem gewann ich wieder. Beim dritten Mal begann der Kater zu zittern, wurde unruhig und verriet mir dadurch, wo sich die Erbse befand.
»Läuft heute nicht so gut für mich.«, sagte er entschuldigend. »Vielleicht sollten wir aufhören. Ihr macht mich sonst noch arm.«
Ich schüttelte den Kopf. Jetzt aufzuhören kam für mich nicht in Frage. Ich wusste ganz genau, dass ich hier als reicher Kater enden würde und bestand auf eine vierte Runde.
Der Kater seufzte, bat mich noch einmal, aufgeben zu dürfen, was ich aber nicht zuließ.
»Na gut. Ein allerletztes Spiel, weil ich euch so mag. Wir spielen um alles oder nichts.«
Er legte ein dickes Bündel Scheine auf den Tisch. Ich musste schlucken. So viel Geld hatte ich in meinem Leben noch nie gesehen. Ich musste dafür sorgen, dass es mir gehörte. Allerdings konnte ich keinen passenden Gegenwert bieten. Noch hatte ich nicht so viel Geld gewonnen, dass ich hätte mithalten können. Ich musste wohl oder übel das Spiel beenden.
»Ihr könnt mir auch etwas anderes anbieten. Ihr seid so krasse Gegner, ihr könnt doch eh nicht verlieren. Ich habe einfach eine Pechsträhne. Wie wäre es mit ihr?«
Er zeigte auf die Mini-Mietze und bekam ein Funkeln in den Augen, das mich frösteln ließ.
Ich schüttelte den Kopf. Sie gehörte zur WG. Ich konnte sie nicht aufs Spiel setzen. Obwohl ich es nicht wollte, nickte ich.
»So sei es. Die Einsätze sind gemacht, das Spiel beginnt. Ab jetzt gibt es kein zurück mehr.«
Er legte die Erbse langsam auf den Tisch, stülpte eine Nussschale darüber und legte die anderen beiden links und rechts daneben. Seine Pfoten bewegten sich unerwartet schnell hin und her. Mir schwirrten die Augen. Ich konnte ihm nicht mehr folgen. Verdammt! Wo war die Erbse? Ich hatte die Kontrolle verloren.
Der Kater beendete es. »Wo ist die Erbse? Entscheide dich, gewinne oder verliere.«
Er fixierte die Mini-Mietze mit seinem Blick und forderte mich immer wieder dazu auf, auf eine der Schalen zu zeigen. Er verhinderte, dass ich nachdachte. Zögerlich streckte ich meine Pfote aus, näherte mich der Mitte. Mein Bruder Lord Schweinenase raunte mir ins Ohr, mich für Rechts zu entscheiden, der zitternde Bengale zeigte nach Links.
Ich schnappte mir die mittlere Schale, hob sie hoch. Die Erbse war nicht da.
»Ha! Ihr habt verloren. Die Katze gehört mir.«
Er packte sein Geld ein, sprang über den Tisch, der dabei umstürzte und griff eine Pfote unserer Mini-Mietze. Mit schnellen Schritten zog er sie hinter sich her. Sie verschwanden in einem dunklen Schatten und waren nicht mehr zu sehen.
Ich konnte es noch immer nicht fassen. Wie konnte ich das Spiel nur verlieren? Warum hatte sich plötzlich alles verändert?
Lord Schweinenase zeigte auf den Boden. Vor dem Tisch lagen die drei Nussschalen. Aber etwas fehlte. Wo war die Erbse? Dieser verdammte Kerl hatte uns betrogen. Wir waren auf einen Verbrecher hereingefallen.
Ich knurrte wütend und beschwor alles, was mir lieb und heilig war. Ich wollte mein Geld zurück, dass er mir gestohlen hatte. Der Bengale aber sah mich so ernst an, wie er es noch nie zuvor getan hatte.
»Vergiss das verdammte Geld.«
Ich fiel aus allen Wolken. Hatte er wirklich zu mir gesprochen? Ich war immer davon ausgegangen, dass er wegen seiner diversen Ängste niemals auch nur ein Wort heraus bringen würde.
»Du hast nur ein paar Cent verloren. Die sind keine Aufregung wert. Aber du hast die Mini-Mietze einem Betrüger überlassen. Das war das Allerschlimmste, was du jemals getan hast. Wenn der Mann und die Frau zurück kommen, werden sie dir das niemals verzeihen.«
Er hatte Recht. Wir hatte ich nur so dumm sein können? Ich hatte ein Mitglied meiner WG verspielt. Die Mietze war Teil der Familie. Wie hatte es nur so weit kommen können?
Nun war ich es, der zu zittern begann. Mir wurde übel. Ich musste mich übergeben. Was sollten wir jetzt nur tun? Ich wusste nicht, wo wir in dieser riesigen Stadt suchen sollten.
In diesem Moment hörten wir ein lautes Kreischen, das von einem erbärmlichen Wimmern abgelöst wurde. War das etwa unsere Mini-Mietze, die nun unter dem Verbrecher leiden musste?
Nein, denn der Kater kam plötzlich auf uns zu gelaufen. Teile seines eh schon hässlichen Fells war ausgerissen, seine Haut mit tiefen, blutigen Kratzern übersät.
»Ihr müsst der Hölle entsprungen sein. Ihr seid Teufel.«, rief er, als er panisch an uns vorbei rannte. Wenige Meter hinter ihm kam die Mini-Mietze die Straße entlang, an deren Krallen noch seine Fellreste hingen. Offenbar hatte sie die Situation schon selbst geklärt.
Sie blieb vor mir stehen. Trotz des Kampfes war sie nicht mal außer Atem. Ich war froh sie zu sehen und brachte das auch zum Ausdruck. Doch ihr böser Blick verriet, dass sie selbst nicht so glücklich war.
Ich musste mich bei ihr entschuldigen und versprechen, niemals wieder jemanden von uns zu verspielen. Er dann beruhigte sie sich wieder.
Wir verabredeten, über diesen Vorfall niemals mit unseren Menschen zu reden. Wir wollten jeden weiteren Ärger vermeiden.
(c) 2021, Marco Wittler
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