168. Eine ungewöhnlich große Liebe

Eine ungewöhnlich große Liebe

Es war einmal eine junge Prinzessin, die von ihrem Vater in die weite Welt hinaus geschickt wurde, um ihren Traumprinzen zu finden. Es sollte schon bald eine Hochzeit stattfinden, da der König schon sehr alt war und nicht mehr lange leben würde.
»Eines Tages«, so sagte er, »wirst du, meine geliebte Liana, über alles herrschen. Doch bis dahin wird noch geheiratet.
So zog sie von Land zu Land, traf sich mit wunderschönen Prinzen und feierte rauschende Feste. Doch nirgendwo fand sie ihre große Liebe.
Zwei Jahre gingen vorbei. Die Prinzessin hatte ihre Hoffnungen schon längst aufgegeben, als sie im entferntesten Königreich ankam.
»Wer hier wohl leben mag?«, fragte sie sich.
Doch schon an der Grenze hatte sie das komische Gefühl, dass hier nicht alles so war, wie in der restlichen Welt. Alles war ein gutes Stück größer. Die Bäume waren so hoch wie Berge und die Häuser in den Städten riesig. Doch das traf nicht nur auf Gebäude und die Natur zu. Denn auch die Menschen waren fast doppelt so groß, wie die Prinzessin. Sie war nun im Land der Riesen angekommen.
»Dann werde ich wohl auch hier meine große Liebe nicht finden können.«
Sie machte kehrt und wollte schon die Heimreise antreten, als ihr ein junger, gut gekleideter Prinz entgegen kam. Er hatte ein warmherziges Lächeln, redete mit den einfachen Menschen und schien das freundlichste Wesen der ganzen Welt zu sein. Bei seinem Anblick spürte die Liana zum ersten Mal in ihrem Leben ein seltsames Gefühl in ihrem Bauch. Es schien, als würden tausend Schmetterlinge einen Freudentanz aufführen und ihr Herz schlug doppelt schneller als je zuvor. Hatte sie nun doch ihre große Liebe gefunden?

Am Abend fand ein rauschendes Fest statt. Doch dafür hatte die Prinzessin keine Augen. Sie verschwand sehr schnell mit Prinz Bigone auf einen ruhigen Balkon und sah mit ihm in die Sterne. Dort gaben sie sich auch ihren ersten Kuss.
»Ich werde mit dir in das Land deines Vaters reisen und dich heiraten.«, versprach er ihr.
Und so sollte es auch geschehen. Schon am nächsten Tag fuhren sie mit einer großen Kutsche in Lianas Heimat.
Die Prinzessin war überglücklich. Doch dieses Gefühl verschwand sehr schnell, als der König ein paar Tage später entsetzt feststellte, wen seine Tochter heiraten wollte. Sofort beschloss er, dies zu verhindern.

Der König lachte in sich hinein, als er den Riesen in das Verließ sperrte. Den Schlüssel hängte er mit einer Lederschnur um seinen Hals und steckte alles unter sein Hemd.
»Dort wird ihn niemand vermuten.«
Dann drehte er sich zur Gefängniszelle um und rief Bigone ein paar letzte Worte zu.
»Du sollst darin verrotten. Niemals wirst du meine Tochter zur Frau erhalten. Menschen und Riesen passen einfach nicht zueinander.«
Gemütlich stapfte er die Stufen zu seinem Thronsaal hinauf und ließ den Riesen allein zurück.

Liana lag weinend in ihrer Kammer auf dem Bett. Sie schluchzte leise vor sich hin. Auch sie wusste nicht mehr weiter. Niemals würde sie ihr Leben mit ihrer großen Liebe teilen können. Doch da hörte sie eine wispernde Stimme vor dem Schloss.
Die Prinzessin wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, stand auf und ging zum Fenster. Als sie nach unten sah, entdeckte sie ein altes Mütterchen.
»Kommt herunter, schöne Königstochter. Ich möchte euch meine Hilfe anbieten.«
Liana konnte sich nicht vorstellen, wie diese alte Frau die Meinung des Königs verändern konnte. Trotzdem ging sie schnell in den Hof hinab.

Das Mütterchen steckte ihre Hand in einen kleinen Beutel und holte etwas daraus hervor.
»Gebt diese Brille dem König. Sie wird ihm das wahre Gesicht eurer großen Liebe zeigen.«
Die Prinzessin besah sich die Brille von allen Seiten, konnte aber nicht erkennen, was sie so besonders machte. Ein Versuch wollte sie dennoch wagen. Ein Wort des Dankes konnte sie der Frau nicht mehr sagen, denn diese war bereits verschwunden.

Am Tage darauf  eilte Liana aufgeregt in den Thronsaal.
»Mein Vater, es ist etwas geschehen. Ihr müsst sofort mit mir in das Verlies kommen.«
Der König wurde sofort wütend, denn er ahnte schon, dass seine Tochter ihn dazu bringen wollte, den Riesen frei zu lassen. Das wollte er auf keinen Fall zulassen oder dulden. Er ging mit ihr gemeinsam zu den Gefängniszellen. Unterwegs drohte er ihr, sie ebenfalls einzusperren, was sie nicht zur Vernunft kommen würde.
Als die beiden im Verlies ankamen, war es so dunkel, dass der König kaum etwas sehen konnte.
»Setzt diese Brille auf, Vater, dann könnt ihr besser sehen.«
Während sich der König das Gestell auf die Nase setzte, zündete die Prinzessin die Fackeln wieder an, die sie Minuten zuvor gelöscht hatte. Es wurde heller und ihr Vater konnte in die Zelle sehen.
»Du meine Güte.«, rief er entsetzt.
»Wie kommt denn dieser junge Prinz in die Zelle und wo ist der Riese geblieben?«
Sofort holte er den Schlüssel hervor und öffnete die Tür.
»Kommt heraus, junger Prinz und entschuldigt bitte, dass ihr hier zu Unrecht festgehalten wurdet. Ich weiß gar nicht, wie ich mich entschuldigen kann.«
Liana war verwirrt und auch Bigone wusste nicht, was in den König gefahren war, denn beide konnten nicht durch die Brille schauen.
Ein weiteres Mal war ein leises Wispern zu hören. Die Prinzessin drehte sich herum und erkannte die alte Frau. Sie schlich sich zu ihr und zuckte verwirrt mit den Schultern.
»Weißt du, mein schönes Kind. Die Brille zeigt dem König, wie der Riese wirklich ist. Sie zeigt ihm nicht sein Äußeres, sondern sein Herz. Und das ist so liebenswert und schön, dass er nun einen jungen Prinzen in normaler Größe vor sich sieht.«
Begeistert schloss die Prinzessin ihre große Liebe in die Arme.
»Ich weiß, wie ihr euch bei mir entschuldigen könnt.«, meldete sich nun der Riese.
»Gebt mir eure Tochter zur Frau und alles soll vergessen sein.«
Der König willigte sofort ein und ließ die beiden noch am selben Tag heiraten.

(c) 2009, Marco Wittler

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