Pater und Nonne
»Wenn ich es dir doch sage.«, war er begeistert. »Die Kutsche des Grafen wird noch heute durch dieses enge Tal kommen. Aus sicherer Quelle weiß ich, dass er einen Großteil seines Goldschatzes dabei haben wird. Er wird eine Erweiterung seines Schlosses in Auftrag geben. Wir müssen ihn nur an der engsten Stelle aufhalten und nehmen uns so viel wir tragen können.«
Nein. Das klang nach einer ganz schlechten Idee. Sie war überhaupt nicht davon überzeugt, dass diese Schnapsidee funktionieren würde.
»Wie soll das denn gehen? Wir sehen nicht gerade vertrauenswürdig aus. Eher wird er uns mit der Kutsche überfahren, als dass er anhält.«
Er begann zu grinsen. »Wir müssen ihn eben überzeugen. Wir brauchen nur eine passende Verkleidung.«
Er zeigte auf einen älteren Pater, der gerade das schmale Tal betrat.
»Er geht einmal in der Woche zum nahen See, badet und schwimmt dort eine Stunde und verschwindet dann wieder. Wir haben also genug Zeit, ihm seine Kutte zu klauen.«
Die Idee war tatsächlich gar nicht so schlecht. Sie hatte schon Schlechtere gehört. Einem Mann in Amt und Würden, dazu noch mit göttlichem Beistand, vertraute man immer. Der Graf sollte darauf hereinfallen.
Sie lauerten dem Geistlichen auf, beobachteten ihn aus sicherer Entfernung und warteten auf den richtigen Moment. Als der Pater in den kalten See stieg, schnappte er sich die Kutte und schlüpfte sofort hinein.
»Steht dir wirklich gut. Nur dein Stoppelbart stört etwas. Aber das wird dem Grafen aus der Entfernung gar nicht auffallen. Ich werde dann hinter einem Busch auf meinen Einsatz warten.«
Doch dann spielte ihnen der Zufall in die Hände. Eine Nonne kam des Weges und hatte offenbar ebenfalls den See als Ziel. Als sie den nackten Pater entdeckte, der ihr durchaus aus der Kirche bekannt war, erschrak sie und fiel in Ohnmacht.
Sofort zogen die beiden Verbrecher der Nonne ihr Gewand aus. Während er die Umgebung im Auge behielt, zog sie sich um. Nun konnten sie gemeinsam dem Grafen entgegen treten und ihm eine Notsituation vorspielen.
Sie wollten sich gerade wieder auf den Weg machen, den See hinter sich lassen, als nur wenige Meter vor ihnen der Boden aufriss. Hitze wallte empor, Feuer züngelte den Verbrechern entgegen. Flüssiges Gestein schwappte über den Rand. Aus dieser Hölle stieg jemand empor. Er hatte rote Haut, zwei Hörner auf der Stirn und schien auf Ziegenbeinen zu stehen.
Der Leibhaftige war aus der Unterwelt aufgestiegen. Der Teufel stand vor den zwei Dieben.
»Ich habe nichts dagegen, dass ihr zwei Kirchenleute bestohlen habt. Ihr wisst genau, dass ich mit denen nichts am Hut habe. Aber die Regeln des Chefs von Oben sind in diesem Fall eindeutig. Er hat etwas dagegen, wenn sein Personal Opfer eines Verbrechens wird. Mir sind da leider die Hände gebunden. Auch ich muss mich an seine Regeln halten.«
Nackte Panik stieg im Verbrecherpärchen auf. Ängstlich nahmen sie sich an der Hand und warteten darauf, dass sie nun in die Hölle hinab gebracht wurden.
»Ihr werdet auf immer und ewig so miteinander verbunden sein, wir ihr da gerade steht. Ihr werdet diesen Ort eurer Schande nie wieder verlassen.«
Ein düsteres Lachen erklang aus seiner teuflischen Kehle. Dann hob er die Hand und schleuderte dem falschen Pater und der falschen Nonne einen Lichtblitz entgegen, die von einer Sekunde zur nächsten erstarrten. Sie verwandelten sich große, graue Felsen, die von nun an bis in alle Ewigkeit allen anderen Dieben ein Mahnmal sein sollten.
Der Teufel sammelte die zu Boden gefallenen Kleider auf, brachte sie zum See zurück und legte sie ungesehen ans Ufer. Dann fuhr er wieder hinab in sein feuriges Reich.
(c) 2021, Marco Wittler
Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay
Anmerkung:
Das Felsenpaar „Pater und Nonne“ gibt es wirklich. Es steht in Iserlohn-Letmathe, unweit der bekannten Dechenhöhle. Sie sehen sehr imposant aus und es gibt verschiedene Sagen, die sich um ihre Entstehung ranken. Eine davon habe ich als Vorlage für diese Geschichte genommen. Wenn du meh über die zwei Felsen wissen möchtest und wie sie aussehen, findest du ein paar Fakten bei Wikipedia.
Antworten