1241. Emil mag Entspannung

Emil mag Entspannung

Emil war mit dem Bus unterwegs in die Stadt. Er hatte sich nicht vorgenommen, musste auch nichts besorgen. Er wollte einfach nur ein paar Stunden bei strahlendem Sonnenschein verbringen und vielleicht ein leckeres Eis dabei essen. Der Winter hatte schon viel zu lange gedauert. Es war wieder an der Zeit, nach Draußen zu gehen.
Schon im Bus wurde es unangenehm. Die vielen Fahrgäste drängelten sich eng an eng. Die meisten von ihnen wollten in der Nähe der Türen stehen bleiben und gingen nicht bis nach hinten durch. Man sah sich gegenseitig grimmig an und niemand machte für den anderen Platz. Als der Bus im Stadtzentrum ankam, musste sich Emil mit Mühe und Not durch den Gang quetschen.
»Puh! Endlich wieder an der frischen Luft.«
Emil sah sich um. Wohin wollte er zuerst gehen? Ein große Waffel mit drei, vier oder fünf Kugeln Eis oder lieber doch erstmal ein wenig im Café sitzen und geschäftigen Treiben zuschauen? Vielleicht wäre auch ein Besuch im Spielwarenladen eine gute Idee. Emil wollte sich eh noch eine neue Actionfigur aus seinem Lieblingsfilm besorgen.
Aber warum sofort eine Entscheidung treffen? Stattdessen setzte er sich auf eine Bank vor dem Springbrunnen, legte beide Arme auf die Rückenlehne und sah sich um. Die Menschen in seiner Umgebung waren alle hektisch unterwegs. Niemand nahm sich Zeit, einmal zu verweilen und die warmen Strahlen der Sonne zu genießen. Stattdessen liefen sie schnellen Schrittes von einem Laden zum nächsten, standen sich im Weg und pöbelten sich immer wieder an. Niemand sah entspannt aus.
»Nein, das macht mir hier keinen Spaß. Ich möchte mir doch einen schönen Tag machen.«
Emil stand auf und ging weiter. Immer wieder musste er stehen bleiben oder anderen Leuten ausweichen, um nicht mit ihnen zusammenzustoßen. Etwas genervt kaufte er sich dann doch nur ein kleines Eis und spielte bereits mit dem Gedanken, die Innenstadt zu verlassen. Ein paar Kilometer außerhalb würde es im Wald bestimmt schöner und ruhiger sein.
»Ach, nein. Dann muss ich wieder in den überfüllten Bus einsteigen. Das macht mir noch weniger Spaß.«
Emil sah sich um und überlegte. Er wollte den Menschen um sich herum zeigen, dass man nicht immer nur in Hektik leben musste, dass man auch einmal die Seele baumeln lassen durfte.
Er begann zu grinsen und schlenderte zu einem Geschäft mit Campingausrüstung. Schon Minuten später kam er wieder heraus und hatte ein Paket unter dem Arm.
»Jetzt wird mal so richtig entspannt.«, freute sich Emil, der am Zugang zum Marktplatz stehen blieb, das Paket öffnete und eine große Hängematte daraus hervor holte. Er befestigte sie an zwei Laternen und legte sich hinein.
»Ach, was ist das schön. Und jetzt eine Runde lang die Augen schließen und schlafen.«
Kaum hatte Emil das ausgesprochen, vergaß er die gestressten Menschen um sich herum und begann laut zu schnarchen.
Die Leute, die nun um die Hängematte herum gehen mussten regten sich auf, schimpften laut und beschwerten sich, dass da einfach jemand mitten im Weg schlief und den Verkehr störte. Insgeheim ärgerten sie sich allerdings nicht über den versperrten Weg, sondern dass sie sich es nicht selbst trauten, einfach mal die Seele baumeln zu lassen und etwas Ungewöhnliches zu machen.

(c) 2022, Marco Wittler


Image by Manfred Steger from Pixabay

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