Der Knopf
Biber Bruno schlief tief und fest in seiner Burg, die er sich in langer harter Arbeit auf der Oberfläche eines Baches gebaut hatte. Eigentlich hatte er geplant, sich mal einen schönen Tag zu machen und ganz lange auszuschlafen, doch kurz nach Sonnenaufgang fand ein einzelner Sonnenstahl den Weg durch das Dach aus Zweigen und Blättern und stach ihn ins Auge.
„Hey, was soll denn das? So eine Gemeinheit. ich habe dir nicht erlaubt, mich aufzuwecken. Es ist doch erst acht Uhr.“
Erbost hob Bruno eine Faust, als wolle er der Sonne drohen, doch dann wurde ihm bewusst, dass sie gar kein Lebewesen war und ihn wohl weder hören, noch wahrnehmen konnte. Also rieb er sich müde die Augen, gähnte und überhörte das leise Kichern der Sonne, die sich köstlich amüsierte.
„Also wenn ich schon wach bin, dann kann ich auch gleich aufstehen und mich um ein leckeres Frühstück kümmern.“
Bruno holte tief Luft, sprang in das Loch im Boden und verließ seine Burg durch den unterirdischen, mit Wasser gefüllten Geheimtunnel. Noch im kleinen Teich, der sich hinter seiner Burg aufstaute, suchte er kleinen Leckereien. Bis auf ein paar Algen, Grünzeug am Boden und Entengrütze auf der Oberfläche, ließ sich aber nichts finden.
Der Biber kletterte aus dem Wasser, schüttelte sich trocken. „Och nee.“ Er stand mit den Füßen im Gras einer Wiese, doch darauf hatte er auch keinen Appetit. Ansonsten gab es nur noch Bäume, an deren Rinde er hätte knabbern können. „Ich hätte mal wieder richtig Hunger auf leckeres, buntes Gemüse. Selbst eine warme Linsensuppe stelle ich mir schmackhafter vor, als alles, was hier um mich herum wächst. Ich gehe jetzt in die Stadt. Da wird sich bestimmt etwas für mich finden.“
Bruno marschierte los. Sein Weg führte ihn quer durch den dunklen Wald, vorbei an Büschen, Sträuchern und Bäumen. Immer wieder leuchteten ihn rote und gelbe Früchte an, die verlockend aussahen, von denen er aber nicht hätte sagen können, ob sie giftig waren oder nicht.
Bruno erreichte schon bald die Stadt. Nicht nur vom Marktplatz, auch aus den vielen Geschäften mit den bunten Schildern und den Buchstaben, die er nicht lesen konnte, kamen wundervolle Düfte, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen. Er entschied sich für den kleinen Gemüseladen einer Marderdame.
„Hallo Mathilda. Wir haben uns lange schon nicht mehr gesehen.“ Tatsächlich waren sie sich nur ein einziges Mal über den Weg gelaufen, damals beim Sommerfest der Stadt. Trotzdem erinnerte sich Bruno noch an ihr bezauberndes Lächeln.
„Ich …“ Ja, was wollte er gleich? Mathilda hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. „Ach ja, ich wollte etwas Gemüse für mein Frühstück kaufen. Er griff zu einem Bund Karotten und legte sie auf die Ladentheke. „Was bin ich dir schuldig? Vielleicht ein Augenzwinkern, ein Strauß Wildblumen oder vielleicht einen Ast von meinem Lieblingsbaum?“
“Oh!“ Mathilda wurde rot im Gesicht. „Das kann ich leider nicht annehmen.“
Bruno grinste breit. „Doch, doch, das kannst du. Es kommt nämlich von ganzem Herzen.“
Aber Mathilda schüttelte den Kopf. „Du verstehst nicht. Ich kann das wirklich nicht annehmen. Hier in der Stadt bezahlen die Bewohner mit Geld. Schau her!“ Sie öffnete die alte Registrierkasse und griff in die Schublade. Sie holte ein paar Münzen hervor, die gold und silbern glänzten. „Wenn du etwas in der Art bei dir hast, kommen wir ins Geschäft.“
Jetzt war es an Bruno, verlegen zu blicken. „Ich habe aber gar kein Geld. Ich weiß gar nicht, woher man welches bekommt. Du weißt doch, dass ich allein draußen am Bach lebe.“ Schnell steckte er seine Hände in die Taschen und begann zu suchen. Spürte er da etwa eine kreisrunde Scheibe? Er holte sie hervor und nahm sie unter die Lupe. Es war ein großer, gelboranger Knopf, der normalerweise seinen Platz an seiner roten Latzhose hatte. Jedoch hatte er sich vor ein paar Tagen gelöst und war abgefallen. „Ich hab nur diesen alten Knopf. Damit komme ich wohl nicht weit.“
Mathildas Augen weiteren sich. „Oh, was für ein wunderschöner Knopf. Der ist sehr viel mehr wert als Geld, Gold oder Silber. Dafür darfst du dir gern zwei Bund Karotten mit zum Bach nehmen.“
Bruno war verblüfft. Es war doch nur ein alter Knopf. Trotzdem wurden sie sich einig. Er packte sein Gemüse ein, machte der Marderdame noch ein paar unverschämt schöne Komplimente und sich dann selbst auf den Heimweg zur Biberburg.
Als Mathilda wieder allein war, nahm sie den großen Knopf vorsichtig in die Hände, behütete ihn wie einen kostbaren Schatz und brachte ihn in die hinteren Räume, die sie selbst bewohnte und öffnete einen großen Schrank. Sie holte einen alten,zerzausten Teddybären heraus, der eine Augenklappe trug.
„Hallo Teddy Augenklappe, du alter Pirat.“, begrüßte Mathilda ihren alten Freund, der sie schon ihr ganzes Leben lang begleitete. „Ich habe endlich etwas bekommen, wonach du schon so lange suchst.“ Begeistert zeigte sie ihm den Knopf von Brunos Latzhose. „Der ist nur für dich allein.“
Vorsichtig nahm Mathilda die Augenklappe ab. Mit Nadel und Faden nähte sie ganz vorsichtig den Knopf an die Stelle, an der sich eigentlich ein Auge befinden sollte. Bei jedem Stich hatte sie das Gefühl, dass der Teddy zuckte.
Als sie fertig war, ging sie einen Schritt zurück und betrachtete ihre Arbeit. Zufrieden nickte sie. „Jetzt kannst du endlich richtig gucken. Jetzt bist du nicht mehr Teddy Augenklappe, der Pirat, jetzt bist du Teddy Knopfbär. Nun musst du dich nie wieder verstecken, weil niemand mehr vor dir und deiner Augenklappe Angst haben muss.“
Von diesem Tag an verbrachte Teddy Knopfbär jeden Tag an der Seite von Mathilda, saß auf der Ladentheke und hielt mit seinem alten und seinem neuen Auge, das Gemüse im Auge.
(c) 2024, Marco Wittler
Antworten